Die vielfältigen technischen, teilweise vielfach erprobten Möglichkeiten von interaktiven Online-Angeboten können im Rahmen formeller und informeller Beteiligungsprozesse unterschiedlich eingesetzt werden. Wichtig ist es dabei stets, die genauen Bedarfe der späteren Anwender zu kennen und diese in die Bereitstellung eines E-Partizipationsangebots, das ein konkretes Verfahren begleitet, mit einfließen zu lassen.
Damit alle Anforderungen an ein modulares Gesamtsystem zusammengetragen werden konnten, wurden zum Beginn des Erarbeitungsprozesses der Referenzarchitektur fünf zentrale Szenarien für den Einsatz von E-Partizipationssoftware skizziert. Anhand der Szenarien können dann die jeweils erforderlichen und empfohlenen Funktionen dargestellt und erläutert werden.
Für die Unterscheidung der wichtigsten Szenarien wurde zunächst das Kriterium herangezogen, ob Bürgerinnen und Bürger sich zu einem Textdokument äußern können oder ob sich die Beteiligung auf eine räumliche Planung bezieht. Im Lichte der heutigen technischen Möglichkeiten erscheint für letzteren Fall eine Visualisierung der Planung als Pflicht – während bei der Kommentierung eines Textentwurfs der Fokus auf präzisen Kommentarfunktionen und der verständlichen Strukturierung von vielen aufeinander bezugnehmenden Beiträgen liegt.
Als zweites Kriterium, um die zentralen Anwendungsfälle zu unterscheiden, wurde das Schriftformerfordernis gewählt. Jenes ist dann erforderlich, wenn in einem formellen Verfahren die Rechtslage vorsieht, dass eine Rückmeldung von Bürgern in einer rechtssicheren Form bei der Verwaltung eingehen muss.
Zuletzt wurde im Szenario „Rückmeldung zu einem Text einholen (ohne Schriftformerfordernis)“ ein weiteres Unterscheidungskriterium hinzugefügt, weil es im Hinblick auf die Entwicklung der Software und Darstellung für die Nutzer sinnvoll erscheint: Die Frage, ob der Beteiligungsgegenstand, bspw. in Form eines Text-Entwurfs, bereits vorgegeben ist oder ob die Inhalte in einem Verfahren größtenteils durch die Nutzer erst selbst erarbeitet werden („Ideen sammeln“). Was damit genau gemeint ist, wird in den folgenden Absätzen zu den fünf Szenarien kurz dargestellt.
Szenario 1: Rückmeldungen zu einem Text einholen (mit Schriftformerfordernis)
Gemeint sind formelle Verfahren in denen von Seiten der Verwaltung der Entwurf eines Gesetzes veröffentlicht wird und Rückmeldungen von Verbänden eingeholt werden sollen. Beispiel dafür ist die Verbändeanhörung nach GGO § 47. In den Fällen in denen eine solche Verbändeanhörung bereits online (zusätzlich zum analogen Verfahren) durchgeführt wurde, konnten die Rückmeldungen durch das Hochladen von Dokumenten (Stellungnahmen) gegeben werden.
Ziele: Rechtssicheres Verfahren anbieten, besser informieren, leichtere Teilhabe, einfachere Verfahrensdurchführung (Auswertung)
Szenario 2: Rückmeldungen zu einer räumlichen Planung einholen (mit Schriftformerfordernis)
Gemeint sind formelle Planungsverfahren bei denen Bürger Hinweise und Einwände bzgl. einer konkreten Planung einbringen können. Diese Rückmeldungen müssen rechtssicher übermittelt werden, sodass sie bei einer rechtlichen Auseinandersetzung verwendet werden könnte. Beispiel dafür ist die Öffentlichkeitsbeteiligung in einem formellen Planungsvorhaben (bspw. Infrastrukturvorhaben).
Szenario 3.1: Rückmeldungen zu einem Text einholen (ohne Schriftformerfordernis)
Gemeint sind Verfahren in denen von Seiten der Verwaltung der Entwurf eines Gesetzes oder eines Konzepts im Internet veröffentlicht wird und von der Öffentlichkeit oder einem geschlossenen Expertenkreis diskutiert werden kann. Beispiel dafür ist die Konsultation eines Gesetzentwurfs, die öffentliche Diskussion eines Klimaschutzkonzepts oder die Debatte über ein politisches Strategiepapier. Die Rückmeldungen können in der Regel in Form von Kommentare am/zum Text, Beantwortung von Fragen zum Dokument oder dem Hochladen von Dokumenten eingebracht werden.
Ziele: besser informieren, leichtere/neue Form der politischen Teilhabe, Stimmungsbilder einholen, Entscheidungen verbessern
Szenario 3.2: Ideen zu einem Thema werden gesammelt (ohne Schriftformerfordernis)
Gemeint sind Verfahren in denen ein bestimmter Teil der Öffentlichkeit dazu eingeladen wird, Ideen und Meinungen zu einem Thema einzubringen noch bevor ein konkreter Vorschlag oder ein ausformuliertes Konzept vorliegt. Beispiele dafür sind ein Ideenwettbewerb zur Stadtentwicklung oder ein offener Dialog über gesellschaftliche Themen.
Ziele: besser informieren, leichtere/neue Form der politischen Teilhabe, Stimmungsbilder einholen, Erkenntnisgewinn
Szenario 4: Rückmeldungen zu einer räumlichen Planung einholen (ohne Schriftformerfordernis)
Gemeint sind Planungsverfahren bei denen Bürger Hinweise und Einwände bzgl. einer konkreten Planung einbringen können. Beispiel dafür ist die Bauleitplanung im kommunalen Bereich.
Ziele: besser informieren, leichtere/neue Form der politischen Teilhabe, Stimmungsbilder einholen, bessere Entscheidungen, einfachere Verfahrensdurchführung (Auswertung)
Die genannten 5 Szenarien sind erweiterbar. I.S. der durch tfechner bereits genannten Stufen der Bürgerbeteiligung wäre es für Kommunen sicherlich hilfreich ein Szenario für kollaborative E-Partizipation (wie etwa ein Wiki) beschrieben zu bekommen. Weitere Szenarien sind: Rückmeldungen zu bestehenden Ideen, Projekten und/oder Vorhaben der Verwaltung werden gesammelt: Mithilfe von kommentierbaren Vorhabenlisten arbeiten Kommunen wie z.B. die Stadt Gießen daran, ein frühes Stimmungsbild zu den geplanten Projekten zu erhalten und auch davon abhängig zu machen, inwieweit und auf welche Art ist diesbezüglich Bürgerbeteiligung braucht. Damit sind weitergehende Anforderungen verbunden, als hier beschrieben. Etwa die Kategorisierung, geolokalisierte und inhaltlich ausdifferenzierte Darstellung von kommunalen Projekten, die im laufenden Prozess editierbar bleiben müssen. Zudem sollte in so einem Szeanrio natürlich die Möglichkeit der Kommentierung und Bewertung gegeben sein. Fragengeleitete bzw. abstimmungsgeleitete Beteiligungen: Auch hierzu gibt es bereits Beispiele, die zeigen, dass eine Anwendung von Funktionalitäten nach diesem Szenario für Kommunen und Verwaltungen auf anderen föderalen Ebenen zweckdienlich sein könnten. Fragen zur Position der Teilnehmenden, deren Antwortvorgaben nominal skaliert sind, folgt ein Kommentar bzw. Freitextfeld. So erhalten die Initiatoren sowohl quantitative als auch qualitative Ergebnisse. Ideen zur Raumgestaltung Über das Szenario, das für den Bereich Stadtplanung sinnvoll ist, hinausgehend, sollte der Bereich Stadtentwicklung und die dortigen Anforderungen an bürgerseitige Gestaltungsvorschläge mitgedacht werden. Umkonkrete Gestaltungsvorshcläge der Nutzerinnen und Nutzer zu erhalten braucht es mehr als eine Kartenanwendung zur Geolokalisierung von Nutzerbeiträgen. Die Anforderungen aus denen hierzu Funktionalitäten abgeleitet werden könnten, sind in diesem Bereich weitreichender.